Freitag, 31. Januar 2014

Gottselige Begierden

6. Darum kommt alles darauf an, dass wir unsere Begierden zu großen Dingen erheben, und etwa Gott mehr lieben wollen als alle Heiligen; aus Liebe zu Ihm mehr leiden wollen, als alle Märtyrer; dass wir Schmach und Unbild geduldig tragen und verzeihen; dass wir alle Mühe und Arbeit gern auf uns nehmen wollen, um eine einzige Seele zu retten, und dergleichen. 
Erstens, weil die Begierden, ob sie schon auf Dinge zielen, die nicht geschehen werden, dennoch bei Gott sehr verdienstlich sind; denn so wie Er den verkehrten, boshaften Willen hasst, also hat Er auch am guten Willen Wohlgefallen. Zweitens, weil die Seele durch derlei Begierden nach großen Dingen beherzter wird, Leichteres zu vollziehen. 

Darum ist es so nützlich, dass man sich gleich morgens vornehme, für Gott so viel zu tun, als man nur immer kann, alle Widerwärtigkeiten mit Geduld zu ertragen, stets versammelt und in Übung der Liebe zu Gott beschäftigt zu sein. So machte es der heilige Franz von Assisi, wie der heilige Bonaventura erzählt: Er nahm sich vor, mit der Gnade Jesu Christi große Taten zu tun. Die heilige Theresia sagt: „Der Herr hat an gottseligen Begierden solches Wohlgefallen, als ob sie im Werke wären vollzogen worden." 

O! um wie viel ist es besser, mit Gott zu tun zu haben, als mit der Welt! Damit man die Güter der Welt bekomme, als Reichtümer, Ehrenstellen, öffentliches Lob und dergleichen, ist es nicht genug, dass man Verlangen darnach trage, ja die Begierde danach vermehrt oft nur die Qual und den Verdruß, wenn man jener Dinge nicht habhaft werden kann; bei Gott aber ist es hinreichend, dass man Begierden nach Seiner Gnade und Liebe hege, um derselben teilhaftig zu werden. 

Das war es, was der kaiserliche Hofherr, von dem der heilige Augustinus erzählt, meinte, als er sich mit noch einem Hofherrn des Kaisers in einem Einsiedlerkloster befand, und das Leben des heiligen Abtes Antonius zu lesen angefangen hatte. Er las (schreibt der heilige Augustinus) und da er las, ward sein Herz von der Welt entfernt und ihr entzogen. 
Er wandte sich zu dem anderen und sprach zu ihm: Mein Freund! wie töricht handeln wir, was suchen wir, da wir dem Kaiser mit so großer Mühe, Furcht und Angst dienen? Können wir wohl eine größere Hoffnung haben, als dass wir seine Freunde werden? Und wenn wir dieses Glück haben sollten, was werden wir anders tun als unsere Seligkeit einer größeren Gefahr aussetzen. Doch nein, wir werden kaum dahin gelangen, dass wir den Kaiser als unsern Freund betrachten können! 
Er schloß dann: wenn ich ein Freund Gottes sein will, siehe, so bin ich es, weil (wollte er sagen) derjenige die Freundschaft Gottes erhält, der sie mit wahrer entschlossener Begierde erhalten will.